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Bitterkeit und höchstes Entzücken

Ein Bericht im Teckbote vom 27.04.2023 von Hans Günther Driess | Foto Hans Günther Driess

Für die Aufführung der Symphonie „Die Tragische“ von John Barnes erntete die Stadtkapelle Kirchheim unter Leitung von Stadtmusikdirektor Marc Lange stehende Ovationen.

concerto 23 teckboteMit anspruchsvollem Programm und herausragenden Leistungen begeisterte die Stadtkapelle
in großer Besetzung unter Leitung von Marc Lange.

 
 

 

 

Nach der Pandemie freuen wir uns, heute Abend wieder „ ein umfangreicheres Concerto anbieten zu können" - mit diesen Worten begrüßt Marc Lange das Publikum. „Als Hauptwerk kommt die Symphonie Nr. 3 „Die Tragische“ von James Barnes zur Aufführung. Hier spielen 80 Orchestermitglieder in der größten Besetzung, die wir je hatten.“
Schon mit der „Ouvertüre in C“ von Charles Simon Catel beeindruckt das Riesenorchester die zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer in der Kirchheimer Stadthalle mit einem geradezu triumphalen Klang. Dieser ist der Entstehung des Werkes kurz nach der Französischen Revolution geschuldet; es erklang erstmals zum zweiten Jahrestag der Ausrufung der Republik Frankreich. Die Stadtkapelle gestaltet die Ouvertüre mit rhythmischer Präzision, Spritzigkeit und sauberem ausgewogenen Klang.
Ihr „Concertino für Flöte op. 107“ komponierte die Französin Cécile Chaminade im Jahre 1910. In dem an Claude Debussy erinnernden impressionistisch angehauchten Werk brilliert die junge Flötistin Clara-Marie Rehberg mit flinken Fingern, flirrenden Tonfolgen und sauberen Tönen bis in höchste Lagen und spielt sich in die Herzen des Publikums. Stadtmusikdirektor Marc Lange dirigiert energiegeladen, schürft jedem Detail der Partituren nach und fordert differenzierte Gestaltung von Lautstärke und Ausdruck.
„Strange Humors“ von John Mackey lässt unterschiedliche musikalische Kulturen miteinander verschmelzen, Melodien und Rhythmen des Mittleren Ostens und Afrikas prallen aufeinander. Das Herzstück der Komposition bildet das Pulsieren der Djembe, die mit bloßen Händen gespielt wird und in westafrikanischen Ländern wie Mali oder Guinea eine bedeutsame Rolle spielt. Herrliche Klänge des Englisch Horns eröffnen das attraktive Stück, gefolgt vom Horn und einem mystisch-geheimnisvollen Trommelwirbel. Bis hier klingt’s noch nicht „strange“ für mitteleuropäische Ohren. Aber dann geht’s los! Glissandi, schrille Bläserstöße, exotische Tonfolgen schwirren wild durcheinander. Sie werden von hervorragend intonierenden Bläsersolisten der Staka gestaltet und entführen vom vielschichtigen Perkussion-Sound unterlegt das Auditorium in fremde Welten. Langanhaltender Beifall - insbesondere für den Djembe-Spieler und die Perkussions-Gruppe - beschließen den ersten Teil.
Im Vorwort zu seiner Sinfonie „Die Tragische“ erläutert James Barnes: „Ich begann an diesem Werk zu arbeiten, als ich in einer sehr schweren Lebenssituation war, nämlich kurz nachdem unser Baby Nathalie gestorben war.“ Die Symphonie entwickelt sich von der tiefsten Dunkelheit der Verzweiflung bis hin zum Erstrahlen von Erfüllung und Freude. Verlassenheit widerspiegelnd eröffnet ein Tuba-Solo den langsamen Teil des ersten Satzes, gefolgt von Englisch Horn und Schlagwerk.
Anfang und Ende des Scherzos gestalten Holzbläser mit monotonen Tonrepetitionen im Wechselspiel mit Holzblock, Röhrentrommeln und Marimbaphon. Der Komponist reagiert offensichtlich mit beißendem Spott und bitterer Süße gegen Anmaßung und Selbstgefälligkeit bestimmter Leute und beklagt sein Schicksal.
„Der dritte Satz ist eine Fantasie darüber, wie meine Welt ausgesehen hätte, wenn Nathalie in ihr gelebt hätte. Es ist ein Abschiedslied für sie“ schreibt Barnes. Das Orchester verdeutlicht die Empfindungen des Komponisten einfühlsam. Die kindliche Welt spiegelt sich im Glockenspiel und dem für Kinderlieder typischen Intervall der Terz wider, bereichert mit einem Klangteppich der Harfe. Tiefe Trauer zeigt die klagende Oboe, dazu passen Röhrenglocken als Totenglocken, die vorwiegend dunkle Klangfarbe, ein weihevoll vorgetragener Totenchoral der tiefen Blechbläser und der Schluss mit dunklem Moll-Akkord in extrem tiefer Lage.
Zuversicht und Dankbarkeit
Barnes gibt Hinweise zum vierten Satz: „Drei Tage nachdem ich die Sinfonie beendet hatte, wurde unser Sohn Billy geboren. So wie der dritte Satz Nathalie gewidmet ist, ist das Finale für Billy und ein Ausdruck unserer Freude, dass wir, nach dem tragischen Tod seiner Schwester, mit ihm gesegnet wurden.“ Entsprechend versprüht die Musik Zuversicht, Freude und Dankbarkeit, etwa die alte lutherische Hymne auf die Kinder „Weil ich Jesu Schäflein bin“, die an Nathalies Beerdigung gesungen wurde. Sie erklingt in einer anspruchsvollen Verarbeitung in verschiedenen Instrumenten-Gruppen, am Ende kulminiert die Entwicklung in einen Freudentaumel. Die Zuhörerinnen und Zuhörer belohnen die Leistungen des Orchesters und des hervorragenden Dirigenten mit „Standing Ovations.
„A Seal Lullaby“, ein Gute-Nacht-Lied nach Texten Rudyard Kiplings, bildet als Zugabe den passenden Ausklang des großartigen „Concerto“ der Stadtkapelle. „Seehundmami wiegt ihr Seehundbaby in den Schlaf und beschützt es“, erläutert Marc Lange und setzt dies um mit seiner Stadtkapelle.