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Komponist Bart Picqueur im Interview - zwischen künstlerischer Freiheit und Herausforderungen für neue Werke

Bart Picqueur"Ich bin Dirigent, Komponist und Verleger in einer Person"

Bart, wenn Dich jemand fragt, was Dein Beruf ist – was antwortest Du?
Meistens mache ich es mir einfach und sage: Ich bin professioneller Musiker. Doch sobald dann die Frage nach meinem Instrument kommt, gerate ich ins Stocken lacht. Ich habe Klarinette studiert, aber seit 15 Jahren nicht mehr ernsthaft gespielt. Also erkläre ich dann genauer: Ich unterrichte Dirigieren, bin selbst Dirigent, komponiere und betreibe meinen eigenen Musikverlag.

Warum hast Du einen eigenen Verlag gegründet?
2010 entschied ich mich für diesen Weg, um meine künstlerische Freiheit zu bewahren. Ich wollte komponieren, was mir am Herzen liegt, ohne dass ein Verleger mir reinredet und etwa fordert, schwierige Passagen zu entschärfen, um die Stücke vermarktbarer zu machen. Ohne meinen eigenen Verlag hätte ich wohl nie meine 50-minütige „Sinfonie 1 KRKA" oder die "Sinfonietta #1" mit 23 Minuten verlegen können.

Warum wären diese Werke sonst schwer zu verlegen gewesen?
Ein fünfminütiges Stück lässt sich leicht in ein Konzertprogramm integrieren. Eine 50-minütige Sinfonie oder die Sinfonietta #1 mit 23 Minuten bedeuten dagegen, dass ein Orchester sein gesamtes Programm um dieses Werk herum aufbauen muss. Hinzu kommt der hohe Probenaufwand. Deshalb scheuen sich viele Verlage, solche Werke zu verlegen, da sie wirtschaftlich schwerer zu vermarkten sind.

Wie bist Du zum Komponieren gekommen? Was war Dein erstes Werk?
Ich habe keine typische Komponistenkarriere mit Meilensteinen. Schon als Teenager experimentierte ich mit Kompositionen, studierte dann Musiktheorie am Konservatorium in Belgien. Aber meine Freunde hatten mit ihren Instrumenten mehr Spaß, also wechselte ich wieder zur Klarinette. Später begann ich zu dirigieren und musste mich wieder intensiv mit Musiktheorie befassen. Mein Weg war also nicht geradlinig. Mit Ende zwanzig schrieb ich etwa 500 Arrangements – von klassischer Musik über Pop-Songs bis hin zu Filmmusik. 1997 entstand dann mein erstes Originalwerk für Blasorchester, das 2000 uraufgeführt wurde. Mein erstes großes Werk war die "Sinfonie 0" für das 175-jährige Jubiläum der Musikkapelle St. Cecilia in Zele (Belgien), wo ich damals Klarinette spielte. Die "0" symbolisiert den Lebenszyklus des Phönix, das zentrale Thema des Stücks.

Was ist Dir bei Deinen Kompositionen wichtig? Hast Du einen bestimmten Stil?
Ich hoffe, ziemlich frei zu komponieren, passe mich aber auch den Orchestern an, für die ich schreibe. Ich möchte ihre Stärken und Schwächen kennen und verstehe den Anlass eines Auftrags als inspirierende Herausforderung.  Oftmals ist es ein Jubiläum des Orchesters oder auch eine Wettbewerbsteilnahme. Ich definiere mich primär als Dirigent, der auch komponiert, und bin finanziell nicht von meinen Werken abhängig – das gibt mir die Freiheit, auch unkonventionelle Wege zu gehen. Ich kann mir auch Dinge zutrauen, die ein anderer Komponist nicht macht. Und das macht die Sache für mich sehr spannend.

Wie entstand die "Sinfonietta #1"?
Die "Sinfonietta #1" basiert auf meiner ersten echten Sinfonie "KRKA", die ich für das Pihalni orkester Krško in Slowenien schrieb. Das Wettbewerbskomitee des Certamen Internacional de Bandas de Música Valencia fragte mich, ob ich ein Pflichtstück für die höchste Wettbewerbsklasse komponieren könne – etwa 25 Minuten lang. Zeit und Budget waren begrenzt, also entschied ich mich für eine Kurzversion meiner Sinfonie 1. Die Herausforderung: Das Werk musste komplett durchkomponiert sein. Eigentlich war das eine ganz verrückte Idee. Aber im Nachhinein war es für mich eine sehr interessante Herangehensweise, weil ich für mich entscheiden musste, welche die Schlüsselstellen der Sinfonie 1 sind und wie ich diese kompositorisch in ein neues Werk zusammenfügen kann. Für das Ganze hatte ich nur 2-3 Wochen Zeit. Und: Die "Sinfonietta #1" ist trotz ihrer Kürze keineswegs einfacher als die Sinfonie 1 lacht.

War es eine Ehre für Dich, für Valencia ein Pflichtstück zu schreiben?
Ja, absolut! Der Wettbewerb ist in der Blasmusikszene sehr renommiert. Ich habe mittlerweile auch viele Bekannten und Freunde dort gefunden, mit denen ich noch in Kontakt bin und mir so auch ein paar neue Türen geöffnet wurden. Es war toll zu wissen, dass einige der besten Orchester mein Werk aufführen würden. Zudem wurden alle Aufführungen professionell aufgezeichnet – das ist für mich als Komponist ein großer Gewinn.

Welche Bedeutung hat die "Sinfonietta #1" im Kontext aller Deiner Werke?
Sie ist definitiv eines meiner Hauptwerke. Wenn ich z. B. jetzt im April 2025 auf die akkustika Messe nach Nürnberg gehe, stelle ich die Sinfonietta dort auf jeden Fall aus, oder auch die Sinfonie 1 „KRKA“, und ich kann dann den Leuten erzählen, dass ich davon eine gekürzte Version habe. Die Sinfonietta #1 ist für mich auch so bedeutsam, weil sie bezüglich Länge und Qualität der Musik ein wirklich großes Werk ist. Sie zeigt, wie sich mein Stil weiterentwickelt hat. Im Vergleich zur "Sinfonie 0" stecken 15 Jahre mehr Erfahrung darin. Ich habe bei der Sinfonietta mehr „weiße Flecken“ in der Partitur und den Stimmen gelassen, d. h. bewusst auch mal weniger instrumentiert, so dass das ganze Werk leichter wirkt und die großen und wichtigen Stellen eindrucksvoller herauskommen.

Wie oft wurde die Sinfonietta #1 in Deutschland schon aufgeführt?
Das ist eine gute Frage, dafür müsste ich prüfen, wohin ich die Noten versendet habe. Insgesamt wurde das Werk bis jetzt ca. 10-mal aufgeführt, ich glaube, dass es in Deutschland erst die zweite Aufführung ist. Auf jeden Fall wird es in Neu-Ulm beim Deutschen Musikfest die erste Aufführung in Bayern sein.

Was betrachtest Du als Deinen größten Erfolg?
Besonders stolz bin ich auf meine Dirigierklasse an der Academie de Kunstbrug in Gent. Zusammen mit einem Kollegen habe ich bereits über 100 Dirigent:innen ausgebildet. Wenn ich auf einer Landkarte in meiner Region alle Orte markieren würde, in denen meine ehemaligen Schüler heute Orchester leiten, wäre sie voller Stecknadeln. Das erfüllt mich mit Freude.

Kanntest Du die Stadtkapelle Kirchheim unter Teck?
Leider habe ich die Stadtkapelle noch nie live gehört, aber das erste Mal durch Euren Dirigenten Marc Lange kennengelernt, als ihr mein Werk Jeu de Cartes mit dem Saxophonquartett clair-obscur aus Berlin aufgeführt habt (Anm. der Redaktion: im Jahr 2016).

Zu guter Letzt Bart: wann treffen wir uns persönlich?
Am 3. Mai 2025 bin ich in Freigericht bei Frankfurt. Vielleicht schaffe ich es am 4. Mai zu eurem Werkstattkonzert in Kirchheim unter Teck. Das würde mich freuen! Oder ich komme zum Deutschen Musikfest – mal sehen, was sich machen lässt.

Vielen Dank für das Gespräch, Bart!

 (Interview: Tobias Christoph)