Kirchheimer Tradition bleibt bestehen
Nach 40 Jahren verabschiedet sich Heribert Diemer als Leiter der Turmbläser. Die Nachfolge hat Matthias Pantel übernommen, der behutsam auch „jazzigere Klänge“ einführen möchte.
Blasmusik auf höchstem Niveau – dafür steht in Kirchheim die Stadtkapelle. Ein kleines, aber wichtiges Ensemble kann das Niveau sogar noch auf die Spitze treiben: auf die Spitze des Rathausturms. Jeden Samstag um 11.30 Uhr spielen die Turmbläser von dort oben in alle vier Himmelsrichtungen, gegen den Uhrzeigersinn, beginnend mit dem Westen, also Richtung Ötlingen. „Abschließend gibt es nach Norden den Gruß an die Verstorbenen auf dem Alten Friedhof“, sagt Heribert Diemer, der nach 40 Jahren die Leitung der Turmbläsergruppe abgibt.
1984 hat er begonnen und in den vergangenen vier Jahrzehnten insgesamt 2030 Einsätze organisiert. „1614 Mal war ich selbst mit dabei“. Sein letzter Einsatz war an Silvester, zum Abschluss des Jubiläumsjahrs, in dem die Kirchheimer Turmbläser ihr 500. Bestehen gefeiert haben. Ein besonderer Höhepunkt für Heribert Diemer: „Da hat mein Enkel mitgespielt.“
Das ist durchaus auch symbolisch zu sehen – für die Weitergabe der jahrhundertalten Tradition. Den Staffelstab als Leiter hat jetzt zwar nicht der Enkel übernommen, dafür aber ein langjähriger Begleiter: Der 31-jährige Matthias Pantel ist seit 2010 dabei und zählt bereits zu den erfahrensten unter den Kirchheimer Turmbläsern.
„Es ist jedes Mal etwas Besonderes, hier oben zu stehen“, sagt er. Der zeitliche Aufwand sei nicht so groß. Und inzwischen genieße er es, die Musik vom Rathausturm mit dem samstäglichen Stadtbummel zu verbinden. Lediglich als Teenager mit etwa 18 Jahren sei es etwas schwieriger gewesen, sich zu überwinden und das Turmblasen dem langen Ausschlafen vorzuziehen. Der Samstag als Einsatztag war eine der ersten Änderungen, die Heribert Diemer bereits 1985 vorgenommen hat. „Das ist die Zeit, wenn die meisten Menschen in der Innenstadt sind. Da hören uns viel mehr Leute als früher am Sonntagmorgen.“
Grüße zwischen oben und unten
Es gebe immer wieder nette Begegnungen: Eine Frau, die nicht allzu weit entfernt vom Rathaus wohnt, winke den Turmbläsern regelmäßig von ihrem Balkon aus zu. Unten in der Marktstraße ist das nicht anders. Besonders kleine Kinder haben eine Freude daran, den Musikern hoch oben zuzuwinken. Das ist vergleichbar mit Kindern auf einer Autobahnbrücke. Die Freude ist gegenseitig.
Heribert Diemer seinerseits freut sich besonders darüber, dass er über die Jahre hinweg über 40 Musiker im „Pool“ hatte, die über viele Jahre hinweg bereit waren, vom Turm zu blasen. Einen Dämpfer gab es für seine Gruppe während der Pandemie: „Die Leute haben gefragt, warum wir denn nicht auf dem Turm sind. Ein paar Mal habe ich dann ganz allein gespielt. Irgendwann wurden drei Bläser genehmigt – mit zwei Metern Abstand voneinander.“
Musikalisch war das nicht optimal, denn am besten klingt ein Quartett. Was das betrifft, sind sich Heribert Diemer und Matthias Pantel vollkommen einig. Von der Auswahl der Stücke her denkt der Jüngere allerdings an eine behutsame Änderung. Es könnte künftig nicht nur Choräle geben. Er verspricht auch „jazzigere Klänge“. Gemeinsame Proben gibt es nur kurz vor dem Auftritt, beim Warmspielen in der Turmstube.
Heribert Diemer ist froh, einen geeigneten Nachfolger gefunden zu haben: „Ich bin jetzt 86 und habe das Jubiläumsjahr als krönenden Abschluss erlebt.“ Für seinen Einsatz hat er die Erich-Ganzenmüller-Medaille erhalten – eine hohe Auszeichnung des Blasmusikverbands Baden-Württemberg. Die Turmbläser als Gruppe sind von der Stadt Kirchheim mit der Konrad-Widerholt-Medaille bedacht worden. Das zeigt die hohe Wertschätzung ihrer Arbeit.
Für Matthias Pantel ist es wichtig, eine 500 Jahre alte Tradition fortführen zu können. Nach dem Motto „Gott zur Ehre – den Menschen zur Freude“ will er auch sonst Heribert Diemer nachfolgen: „Hoffentlich werde auch ich irgendwann mit 86 Jahren noch hier oben spielen.“ Bis dahin dauert es noch 55 Jahre. Die Tradition wäre also auf lange Zeit gesichert.